Gone
You’re gonna be alone
You know what you’re missing Babe
You know you did wrong
When I’m Gone
It’s a typical Situation
Too bad Girl I’m already gone
Ich war bereits eingeschlafen, als das Flugzeug zweiundzwanzig Stunden später in Chicago landete. Von dem kurzen Ruck, der bei der Landung entstand, wurde ich schließlich geweckt. Verschlafen und mit nur halbgeöffneten Augen sah ich mich um. Ich konnte nicht glauben, dass ich tatsächlich schon Zuhause war, doch ich war es.
Als ich mir dessen bewusst war, war ich hellwach, öffnete meinen Gurt und sprang auf, dann rannte ich förmlich nach draußen. Ich war Zuhause! Endlich! Innerlich jubelnd holte ich mein Gepäck ab und sah mich in der Wartehalle um. Mein Bruder Bobby und meine Mom hatten mir gesagt, sie würden hier auf mich warten, doch die Halle war überfüllt von Menschen, die an mir vorbeiliefen, sodass es mir nicht leicht fiel die beiden zu entdecken und das brauchte ich auch nicht, denn Bobby war der erste, der mich sah und freudestrahlend auf mich zugelaufen kam.
Ich ließ meine Koffer fallen und rannte auf sie zu, dann fiel ich meiner Mom um den Hals. “Hey, nicht gleich so stürmisch!“, lachte sie und erwiderte meine Umarmung. Ich war so froh, endlich wieder Zuhause zu sein, dass ich meine Freunde und Sorgen einfach für einen Moment vergessen und in Deutschland zurückgelassen hatte. Ich freute mich sehr, dass ich sie und meine restliche Familie nach ganzen drei Monaten endlich wieder einmal zu Gesicht bekam.
Ich schnappte mir noch schnell meinen Koffer und dann konnte es auch endlich losgehen. Candra, meine Schäferhündin würde sicherlich auch schon warten, da ich sie bei meinem letzten Besuch leider zurücklassen musste, doch dieses Mal würde uns niemand mehr so schnell trennen.
Nachdem ich meinen Dad und meine Oma noch begrüßt hatte, ging ich als aller erstes nach oben in mein Zimmer, um meine Sachen in den Schrank zu räumen und einfach erst einmal zu entspannen, da mich der Flug doch ziemlich fertiggemacht hatte. Gerade als ich den Koffer geöffnet hatte, fiel mir der Brief von Naomi wieder ein, den ich noch gar nicht gelesen hatte, doch dies würde ich sofort nachholen, da es mich eigentlich sehr interessierte, was sie mir zu sagen gehabt hatte, auch wenn ich es mir bereits denken konnte.
Ich schmiss mich auf mein Bett und riss den Umschlag auf, dann entfaltete ich den Zettel und las. “Richie, es tut mir wirklich so leid, wie das alles in letzter Zeit zwischen uns gelaufen ist. Ich würde mir nichts sehnlicher wünschen, als das du mir irgendwann einmal verzeihen kannst. Ich liebe dich nämlich tatsächlich und wollte dies auch in diesem Brief deutlich machen, ob du mir nun glaubst oder nicht ist deine Sache. Lebe wohl, mein Schatz, ich werde dich nie vergessen! Für immer hast du einen Platz in meinem Herzen. God bless you! In Love, Naomi“ Noch eine ganze Weile starrte ich das Stück Papier in meiner Hand an und konnte einfach nicht glauben, dass sie diese Worte niedergeschrieben hatte. Die ganze Zeit über kam ich mir nur von ihr verarscht vor, deshalb fiel es mir alles andere als leicht ihr das nun abzunehmen, also beschloss ich kurzerhand sie anzurufen, auch wenn das aus dieser Entfernung nicht ganz billig war, ich brauchte einfach Gewissheit, um herauszubekommen woran ich war.
So nahm ich also mein Handy in die Hand und wählte ihre Nummer. Einige Male ließ ich es klingeln, bis endlich etwas zu hören war, aber es war nicht unbedingt das, was ich erwartet hatte. Jemand hatte abgenommen, doch es war nicht direkt eine Stimme zu hören. Aus dem Hörer ertönte lustvolles Stöhnen.
Im ersten Moment war ich wie erstarrt, doch schon im nächsten hatte ich mich wieder gefangen und lauschte nun einige Minuten lang, dabei konnte ich mir wirklich ausmalen, was auf der anderen Leitung gerade vor sich ging. Tränen schossen mir in die Augen und ich zerknüllte den Zettel, warf ihn dann zu Boden. Es war deutlich Naomis Stimme aus dem Hörer zu vernehmen, die genauso deutlich Mikels Namen stöhnte. Wie konnten die beiden mir das nur antun?
Ich konnte nicht länger. Schnell drückte ich den roten Knopf und starrte geistesabwesend das Handy an. Wie konnte sie mich bloß so hintergehen? Um es noch deutlicher auszudrücken: Sie hatte mich von vorne bis hinten verarscht. Dieser Gedanke tat unheimlich weh, dennoch wusste ich ganz klar, dass ich Recht hatte. Diese miese Schlampe!
Ich schmiss mich auf mein Bett und weinte in das Kissen, aber warum? Warum weinte ich ihr hinterher, obwohl sie mich so hintergangen hatte? Ich wollte nichts weiter mit ihr zu tun haben. Ich habe sie wirklich geliebt und was tat sie? Vögelte die Jungs der Band durch. In dem Moment war ich wirklich froh darüber, dass ich wieder Zuhause war und wollte hier nie wieder weg.
Noch Stunden später, so kam es mir vor, lag ich auf dem Bett und weinte, bis meine Augen völlig geschwollen waren. Candra, meine kleine Schäferhündin, kam hereingetapst und gesellte sich zu mir. Sie spürte, dass es mir nicht gut ging und wollte mich daher trösten, was sie immer tat, wenn es mir schlecht ging, worüber ich auch wirklich froh war, da ich ja sonst niemanden hatte, der mich verstand und auch wenn sie nur ein Hund war, wusste ich, dass sie für mich da war. Sie stupste mich mit ihrer feuchten Nase an und sah mich mit ihren warmen, freundlichen Augen an. Ich setzte mich auf und kraulte sie etwas, dann nahm ich ihre Leine vom Kleiderhaken und beschloss kurzerhand etwas mit ihr spazieren zu gehen, da ich nun wirklich einfach für mich allein sein wollte.
Gedankenverloren lief ich also durch die Straße und bemerkte dabei nicht, wie Candra heftig an der Leine zerrte, so als ob sie mich irgendwohin führen wollte, aber ich folgte ihr einfach. Ich erwischte mich dabei, wie meine Gedanken von Naomi zu Roxy wanderten, dem blonden Engel, den ich durch meine beste Freundin Jackie kennengelernt hatte. Vielleicht sollte das alles auch passieren, damit ich meinen Weg umschlagen konnte.
Ich kam in einen Park, doch das fiel mir schon gar nicht auf, bis sich Candra plötzlich von mir losriss und davonrannte, erst dann wurde ich aus meinen Gedanken herausgerissen. “Candra, komm her!“, rief ich und rannte ihr nach. Sie blieb an einer Bank stehen, wo ein Mädchen mit blonden Haaren saß.
Als ich näher kam, erkannte ich sie auch sofort, es handelte sich um niemand geringeren als Roxy. So ein Mist, schoss es mir sofort durch den Kopf. Peinlicher ging es wirklich nicht mehr. Ich lief zu den beiden und griff schnell wieder nach Candras Leine, dabei ließ ich meinen Blick kein einziges Mal von Roxy. Sie sah von ihrem Buch auf, streichelte Candra kurz über ihren Kopf und blickte dann zu mir, wobei sie mich mit ihrem umwerfenden Lächeln mitten ins Herz getroffen hatte. Ich schluckte und versuchte dabei meine Nervosität zu unterdrücken, was mir jedoch nur schwer gelang. “Hallo“, begrüßte sie mich und kraulte Candra hinter ihrem Ohr. Ich erwiderte ihren Gruß, jedoch ähnelte meine Stimme eher einem Stottern. “Bist du nicht der Typ, von dem Jackie so viel erzählt und den ich in Berlin getroffen habe?“, wollte sie sofort wissen, wobei ich leicht verwirrt wirkte. Etwas traurig und niedergeschlagen nickte ich. Sie erinnerte sich nicht einmal an meinen Namen, aber nun ja, wunderte mich nicht sonderlich, denn wer war ich denn schon? Wahrscheinlich nichts weiter als ein hoffnungsloser Fall. “Was ist denn los?“ Ich sah ihr in ihre strahlend klar blauen Augen und schüttelte den Kopf, brachte jedoch kein Wort über meine Lippen.
Ich konnte einfach nicht klar denken und wusste nicht, was in dem Moment in meinem Körper geschah, es war ein unbeschreibliches Gefühl, welches ich noch nie zuvor in meinem Leben verspürt hatte. “...zu machen?“ Nur die letzten beiden Worte hatte ich mitbekommen und konnte nicht genau deuten, was sie soeben gesagt hatte. Verwirrt sah ich sie an und mir kam es vor wie eine Ewigkeit, die wir dort schon voreinanderstanden. Sie lächelte. “Ich hatte gefragt, ob du Lust hast noch etwas zu machen?“, wollte sie wissen und war irgendwie erleichtert über diese Frage, dass ich einfach nicht nein sagen konnte, also bejahte ich.
Dieses Mal hielt ich Candras Leine sehr gut fest, da ich keine große Lust hatte ihr noch einmal hinterherrennen zu müssen. So machten wir uns zu dritt also in mein Lieblinsdiner, das Chili’s.
Dort angekommen setzten wir uns erst einmal in eine Ecke und ich konnte meinen Blick einfach nicht von Roxy wenden. Ich war selber sehr verwundert darüber, dass ich nur durch ihre Anwesenheit Naomi ziemlich schnell in eine Schublade gesteckt und sie somit vergessen hatte. Ich bestellte mir einen Vanilla Latte und sah mich in dem Laden etwas um. Es hatte sich tatsächlich kein Stück geändert, worüber ich auch recht froh war, da ich mich in diesem Diner mit meinen Freunden immer am liebsten aufgehalten hatte.
Ich wandte den Blick immer noch nicht von ihr und hätte mich Candra nicht angestupst, wäre mir klar geworden, dass meine Blicke ziemlich auffällig waren. Ich wusste, dass sie diese bemerkt hatte, ließ sich allerdings nichts anmerken, worüber ich auch wirklich froh war, da mir das wohl nur peinlich gewesen wäre.
Heftig schüttelte ich mit dem Kopf, um endlich wieder einmal einen klaren Gedanken fassen zu können, doch dies gelang mir nicht ganz. Noch wusste ich nicht, dass dieser Tag mein Leben erneut um ein Stück verändern würde.
Gelangweilt rührte ich in meinem Latte herum und sah mich etwas um. Michelle, die Kellnerin, war immer noch hier angestellt. Schon damals war ich mit ihr befreundet gewesen und auch heute kannte sie mich, manchmal ging meine Bestellung auch aufs Haus. Wie ich bemerkt hatte, war es zwischen Roxy und mir verdächtig ruhig, was ich mir eigentlich selber nicht erklären konnte, da ich doch wirklich nie so drauf war, aber anscheinend war heute einfach nicht mein Tag.
Erst als ich durch einen lauten Schrei aufschrak, nahm ich überhaupt wahr, dass sie ja immer noch vor mir saß, doch darum konnte ich mich derzeit nicht kümmern, da es mich schließlich sehr interessierte, was soeben geschehen war.
See I don’t know why
I gave you everything, my life
I’ve wasted every drop of my Love
You hide behind a disguise
You thought you really could slip by
And keep it on the low I realize
I will let you go
Panik brach im Diner aus und erst als ich zur Eingangstür blickte, bemerkte ich auch, was los war. Irgendein verrückter Kerl stand dort mit einer Waffe in der Hand und redete unverständliches englisch, alles was ich mitbekam war, dass er uns drohte und wir sollten uns ruhig auf den Boden legen, sonst würde etwas passieren. Ich sah zu Roxy, die bereits Tränen in den Augen hatte. Reflexartig stand ich auf und zog sie hoch, dann legte ich schützend meinen Arm um sie und wischte ihr eine Träne von der Wange.
Dann löste er die Sicherung und ließ zwei Schüsse an die Decke gehen, wobei wir beide kurz zusammenzuckten. Ich hatte schreckliche Angst, aber ich wollte diese nicht zeigen, um Roxy nicht noch mehr zu beunruhigen. Ich sah mich um und dann erblickte ich einen Ausweg, doch bis zu diesem zu kommen war nicht leicht. “Hör mal, wir müssen es irgendwie bis zur Toilette schaffen“, flüsterte ich ihr zu und sah sie erwartend an, aber es kam eine andere Antwort als ich gehoffte hatte. Heftig schüttelte sie den Kopf und drückte meine Hand fest. “Wir schaffen das nicht!“, meinte sie und sah erneut zu dem Kerl, der immer noch die Waffe in der Hand hielt und sie dieses Mal auf einen Kellner zielte, dann löste er erneut die Sicherung und ließ einen Schuss los, der den Mann direkt in die Schulter traf. Er ging zu Boden. Mir war klar, dass ich etwas tun musste, doch was? Ich, genau wie alle anderen, waren einem einzigen Typen hoffnungslos verfallen.
Draußen hörte man bereits die Sirenen der Polizei und Feuerwehr. Sie hatten das Diner umstellt, aber mir war bewusst, dass sie nicht die geringste Chance hatten hier durchzukommen. Ich sah zu Roxy. Ich wollte nicht, dass ihr etwas passierte und drängte sie leicht in die Richtung der Toilette. “Verschwinde hier!“, flehte ich sie schon fast an, aber sie wollte nicht. Sie wollte hier bleiben, was ich einfach nicht verstehen konnte. Bitte, dachte ich bei mir, es gab schließlich keine Zeit für Diskussionen, doch sie drückte sich nur an mich und weinte in mein Shirt, welches schon schnell feucht wurde.
Erneut blickte ich zu dem Kerl, er hatte eine schwarze Maske auf und trug einen dunklen Trainingsanzug. Irgendwie kam er mir von seiner Statur her bekannt vor, aber ich konnte einfach nicht sagen woher. Abwechselnd sah ich ihn und Roxy an. Ich musste etwas unternehmen, das Problem war nur, dass ich nicht wusste, was ich tun konnte.
Kurz löste ich mich von Roxy, um nach einem Ausweg zu suchen, vergeblich und es sollte noch schlimmer kommen. Nur für einen Moment hatte ich meine Augen nicht auf sie gerichtet, was ein fataler Fehler war. Erneut hörte ich einen Schuss, der mein Gehör beinah zertrümmerte, dann sah ich mich um, um mich zu vergewissern, was er dieses Mal getroffen hatte.
Bei dem Anblick wollte mein Herz aussetzen. Ich traute meinen Augen nicht, das konnte nicht sein. Bitte nicht! Ich flehte und hoffte innerlich, dass alles nur ein böser Traum war, aus dem ich schon bald aufwachen würde, aber nichts geschah. Ich befand mich immer noch in diesem Diner und starrte auf den Boden, wo sich allmählich eine breite Blutlache bildete und in dieser lag Roxy. Warme Tränen stiegen in mir auf und wollten ins Freie gelassen werden, was ich auch nicht verbarg. Schnell kniete ich mich zu ihr und bettete ihren Kopf auf meinen Schoß. “Bitte sag etwas!“, flüsterte ich so leise, dass nur sie es hätte hören können, aber sie gab keine Regung von sich.
Kurz schloss ich meine Augen. Ich konnte nicht fassen, dass das alles soeben wirklich passiert war. In dem Augenblick füllte sich meine Seele voller Hass und ich hörte hinter mir Schritte. Die Schreie waren inzwischen verklungen, da alle ruhig auf dem Boden lagen und keinen Ton von sich gaben, was mich auch nicht wunderte, da sie schließlich nicht wollten, dass ihnen etwas passierte, aber mir war es egal. “Lass sie liegen“, brüllte jemand hinter mir mit einer tiefen männlichen Stimme. Er richtete die Waffe auf mich, welche ich deutlich in meinem Rücken spüren konnte, auch wenn ich nichts sah. Angst stieg in mir auf. Ich konnte sie nicht einfach so liegen lassen, aber was hätte ich auch tun sollen? Sanft legte ich sie wieder auf den Boden und stand langsam auf, dann ging ich einige Schritte von ihr weg, schielte dabei zu dem Typen, der die Waffe genau zwischen meine Augen gerichtet hatte. Leicht zitterte ich. Ich sah direkt in seine braunen Augen, die mir deutlich bekannt vorkamen, aber immer noch wusste ich nicht woher.
Roxy lag immer noch leblos auf dem Boden und verlor mehr Blut, jedoch atmete sie noch, wobei mir klar war, dass sie es nicht schaffen würde, wenn ihr keiner half. Sie musste hier raus, nur wie?
Von draußen hörte ich bereits eine Stimme rufen. Nur undeutlich verstand ich sie, dennoch wusste ich, dass sie an den Typen gerichtet war, der darauf allerdings nicht einging. Immer noch zielte er auf mich, wobei ich bemerkte, dass er zitterte, aber wieso? Ich schluckte hörbar und bekam es immer mehr mit der Angst zu tun, doch die wollte ich nicht zeigen, denn bekanntlich konnte man Angst riechen und das würde alles nur noch schlimmer machen.
Roxy lag weiterhin auf dem Boden, rührte keinen Finger und ihre Atmung wurde immer schwacher, sie war blass um die Nase. Wahrscheinlich war meine größte Angst, dass ich sie verlieren würde, denn auch wenn ich sie noch nicht lange kannte, war sie eine wichtige Person für mich geworden und inzwischen spielte sie ebenfalls eine große Rolle in meinem Leben.
“Wie lange habe ich auf diesen Augenblick bereits gewartet?“, fragte er mehr sich selber als mich und aus seiner Stimme konnte ich ein Grinsen nicht überhören. Was meinte er damit? War das hier alles etwa geplant? Ich sah um mich. Niemand war mehr hier. Zwei Menschen hatte er auf dem Gewissen, vielleicht bald schon drei oder vier. Die restlichen wurden in Sicherheit gebracht, worüber ich wirklich froh war, doch schon da hätte mir auffallen müssen, dass es einen Grund dafür gab, warum er so gut wie alle, die sich ihm nicht in den Weg gestellt hatten, gehen gelassen hatte. Er hatte es auf mich abgesehen! Doch immer noch hatte ich keine Ahnung mit wem ich es überhaupt zu tun hatte. Wenn ich schon sterben musste, dachte ich, wollte ich meinem Mörder wenigstens in die Augen sehen, also sollte er diese verdammte Maske gefälligst vom Kopf ziehen, doch das tat er nicht.
Er erhob seinen Arm und zielte erneut zur Decke, dann ließ er einen Schuss hören, der mich merklich zusammenzucken ließ. Er traf die Lampe, die dort noch bis vor kurzem gehangen hatte, nun jedoch krachend zu Boden fiel und in tausend Einzelteile zersprang. Innerlich betete ich zu Gott und hoffte, er würde meine Gebete erhören, doch nichts tat sich. Panik brach in mir aus und wollte hinaus. Ich wollte schreien, aber meine Kehle war wie ausgetrocknet, ich bekam kein Wort über meine Lippen.
“Schon damals hatte ich nichts und musste mitansehen, wie du von Tag zu Tag alles in deinen Arsch geschoben bekommen hast“, fuhr er fort und mit jedem Wort wurde seine Stimme lauter, dann wusste ich endlich, mit wem ich es hier zu tun hatte. Meine Augen weiteten sich und ich konnte einfach nicht glauben, dass er es wirklich war. “Jessie?“, flüsterte ich heiser und schüttelte den Kopf. Nein, das konnte einfach nicht sein. Es musste alles ein dummer Irrtum sein. Es konnte nicht mein damaliger bester Freund Jessie sein. Ich wollte es nicht glauben.
//Flashback//
Wir hatten uns damals doch so gut verstanden, bis wir älter wurden und er schließlich eingesehen hatte, dass er im Leben nichts hatte. Seine Eltern waren bei einem Autounfall gestorben als er gerade einmal sieben Jahre alt war, seitdem hatte er bei seinen Großeltern gelebt, die sich einen Dreck um ihn gekümmert hatten. In der Schule gehörten wir zu den Beliebteren, anfangs! Doch mit der Zeit entfernten wir uns voneinander. Ich blieb beliebt und hatte viele Freunde. Er war ruhiger geworden und zog sich von uns allen immer mehr zurück, sprach kaum noch mit uns. Jede Pause durch stand er allein in einer dunklen Ecke und beobachtete alles von dort aus. Ich hatte einige Male wieder versucht an ihn heranzukommen, aber es nicht geschafft, was mir wirklich leid tat.
Wir waren immer durch dick und dünn gegangen, egal was passiert war. In der Schule hatten wir jeden Scheiß gemacht und den Lehrer öfters Streiche gespielt, wurden dabei glücklicherweise nie erwischt.
An eine Sache erinnerte ich mich genau, diese brachte mich selbst in der schlimmsten Situation zum schmunzeln. Es war gerade eine fünf Minuten Pause. Jessie und ich waren die einzigen in der Klasse und so hatten wir freie Bahn für einen erneuten Streich, den wir auch vollends auskosteten. Von Zuhause hatte ich von meinem Dad Klebstoff besorgt, den ich nun genüsslich auf dem Lehrerstuhl verteilte.
Das Ergebnis war ja wohl klar. Unsere Englischlehrerin kam genau zum Stundenbeginn herein, sie war schließlich nie unpünktlich gewesen. Ihre strenge Miene jagte mir bereits bei ihrem ersten Anblick einen kalten Schauer. Sie hatte ihre Haare immer zu einem Zopf zusammengebunden und schaute uns jedes Mal über die Gläser ihrer Brille an.
Jessie und ich grinsten uns zu, wobei mir genau bewusst war, dass es nicht nur bei einer Strafarbeit bleiben würde, wenn sie erfuhr, dass wir es wieder einmal war. Nein, bei ihr ging es heftiger zu. Wir würden mit Sicherheit zum Direktor müssen und würden im schlimmsten Fall sogar einen Schulverweis bekommen, aber diese Show war es uns Wert.
Wir beide beobachteten also jeden Schritt von ihr genau, bis zu dem Punkt, an dem sie sich wie in Zeitlupe auf ihren Stuhl sinken ließ, dabei konnte ich mir ein lachen nicht verkneifen und prustete lauthals los, wobei ich fast vom Stuhl gefallen wäre, was meiner Lehrerin natürlich nicht verborgen geblieben war.
Sie wollte aufstehen, aber konnte nicht, zumindest nicht richtig, denn es handelte sich hierbei um Sekundenkleber, also zeigte dieser auch schon seine voll Wirkung. Sie stand zusammen mit dem Stuhl auf und hatte dies noch nicht einmal mitbekommen, also lief sie einige Schritte nach vorn und der Stuhl klebte an ihrem Hinterteil fest, was den anderen ebenfalls sofort auffiel und in mein Gelächter einstimmten, doch immer noch bemerkte sie nichts.
Erst am Ende der Stunde rief sie Jessie und mich zu sich. Ich wusste genau, dass sie uns bereits von Anfang an in Verdacht hatte, da sie inzwischen auch mitbekommen hatte, dass wir beide berühmt für unsere Streiche waren. Von ihren Unterlagen schaute sie direkt in unsere beiden Augenpaare, dabei verformten sich ihre Gesichtszüge von streng in lächelnd und ich musste zwei Mal hinschauen, um glauben zu können, dass soeben tatsächlich ein Lächeln auf ihre Lippen gezaubert war, denn in den drei Jahren, in denen ich sie bereits kannte, hatte ich sie noch kein einziges Mal lächeln gesehen.
Das war auch unser Glück, denn so hatten wir nicht den geringsten Ärger bekommen, obwohl sie genau wusste, dass wir es waren, doch sie schien es mit Humor zu nehmen.
Jedoch veränderte sich von diesem Tag an nicht nur unsere Lehrerin...
//Flashback End//
Es hatte sich tatsächlich alles verändert. Mein ganzes Leben. Nicht viel später bekam ich eine Nebenrolle in einem Film und von da an stieg meine Karriere stetig an.
Nun standen Jessie und ich uns wieder Auge in Auge voreinander. Mir war bewusst, dass dies wohl unser letztes Treffen sein würde, für immer.
You can’t stop thinking about me
You can’t stop thinking about me
You can’t stop thinking about me
Feel the pain when I’m Gone
Ich hatte bereits alle Hoffnung aufgegeben, dass es aus dieser misslichen Lage noch einen Ausweg gab, doch da hatte ich mich gründlich geirrt. “Lass ihn in Ruhe“, ertönte plötzlich eine Stimme hinter mir und ich traute mich gar nicht mich umzudrehen, dennoch tat ich es. Ich erblickte meine besten Freunde John und Leif. Was taten die beiden denn hier? Wo kamen sie überhaupt her? Nun ja, das war wohl meine kleinste Sorge im Moment. Ich wollte einfach nur hier raus.
Kurz ließ ich meinen Blick zu Roxy schweifen, eigentlich hätte sie schon längst tot sein müssen, aber ihr Brustkorb hob und senkte sich nicht, was mir deutlich machte, dass sie noch atmen musste, worüber ich wirklich erleichtert war, dennoch wusste ich, dass sie es nicht mehr lange machen würde, wenn sie nicht bald in Behandlung kam, sie musste hier heraus, das war für mich das Wichtigste, auch wenn ich dafür draufgehen würde, das war mir egal. Ich würde mein Leben riskieren, nur um ein anderes Leben, welches mir ebenfalls wichtig war, zu retten.
Mir kam es vor wie eine Ewigkeit, die wir bereits hier in diesem Diner verbracht hatten. Draußen dämmerte es inzwischen und ich konnte einfach nicht mehr, doch nun sah ich meine Chance hier abzuhauen, zusammen mit Roxy, da Jessie sich nun voll und ganz auf meine beiden Freunde konzentrierte. Egal, woher die beiden gekommen war, ich war wirklich froh, dass sie da waren und mir war klar, dass mir Gott geholfen hatte.
Ich kniete mich zu Roxy. Die rote Pfütze hatte sich bereits um das doppelte verbreitet und meine Jeans tränkte sich darin, was mir allerdings völlig egal war, da ich sie einfach nur sicher hier herausbringen wollte. Ich sah sie an und bei diesem Anblick stiegen mir erneut Tränen in die Augen. Sanft strich ich ihr über die Wange und damit ihr blutverklebtes Haar zu Seite. “Halte durch, mein Engel!“, flüsterte ich, sah noch einmal kurz zu den drei und als ich sicher war, dass ich von keinem mehr beachtet wurde, nahm ich Roxy auf meine Arme und schlich nach draußen. Natürlich hatte ich Angst um John und Leif, aber im Augenblick hatte ich nur Roxy im Kopf und dass sie es einfach schaffen musste. Sie musste! Ich wollte sie nicht so leiden sehen, wollte ihr helfen, doch war machtlos, was mich nur rasend wahnsinnig machte.
Vor dem Diner standen immer noch vier Polizei- und ein Krankenwagen. Ich sah in die Runde und erkannte meine Eltern in nicht weiter Entfernung stehen, die besorgt ausschauten, doch anscheinend hatten sie mich noch nicht bemerkt, was mich nicht allzu sehr störte, da ich als erstes einen Arzt aufsuchen wollte, den ich auch schon bald fand. Ich legte Roxy behutsam auf eine Trage und ließ sie allein, denn als nächste wollte ich dann doch noch zu meinen Eltern, aber immer wieder hallten zwei Gedanken durch meinen Kopf: Würde Roxy es schaffen und was geschah in dem Moment in diesem Diner?
Ich blickt während des Laufens zur Tür und musste feststellen, dass es nun eher einem Ort der Verwüstung als einem Ort der Romantik glich. Der Gedanke daran, dass noch etwas schlimmeres passieren könnte, machte mir wirklich zu schaffen, aber wie hatte mein Bruder Bobby immer gesagt, wenn es mir schlecht ging? “Kleiner, immer positiv denken!“, flüsterte ich zu mir selber und sah dabei zu Boden, bis ich zu meinen Eltern angekommen war. Sofort stürmte meine Mom auf mich zu, als sie mich entdeckt hatte, und umarmte mich heftig, dabei liefen ihr salzige Tränen rechts und links die Wangen hinunter und landeten auf meinem weißen Shirt, welches sich durch das Blut rot verfärbt hatte.
“Chris, Gott sei dank ist dir nichts passiert“, schluchzte sie. Ich nickte nur, aber machte mir auch weiterhin Sorgen, denn die Gefahr war keineswegs gebannt, solange die Polizisten nichts gegen Jessie unternommen hatten.
“Mr. Stringini?“, ertönte eine Stimme neben mir und ich sah zu Seite. Ein Mann in blauer Uniform stand dort, welcher einen Block und Stift zu Hand hatte. Nein, ich wollte nun mit niemanden darüber sprechen. Ich wollte einfach meine Ruhe haben und darauf warten, was als nächstes passierte. Mein Gesicht hatte ich in der Jacke meiner Mom vergraben, als erneut ein Schuss ertönte. Verdammt, er sollte endlichb damit aufhören. Ich konnte nicht mehr! Wäre ich doch nur nicht wieder zurück nach Hause gekommen. Ich dachte wieder an meine Bandkollegen und an Naomi. Nun gut, sie hatten mir alle auf eine Art wehgetan, dennoch waren sie, vielleicht mit Ausnahme von Naomi, eine zweite Famile für mich gewesen und die hatte ich anscheinend jetzt endgültig verloren, doch erst jetzt, wo dies hier alles geschah, wurde mir bewusst, wie sehr sie mir eigentlich fehlten und das es genau das war, was ich wollte. Wieder zurück nach Berlin und zu meinen Freunden! Meine Fans brauchten mich! Und ich brauchte sie alle auch!
Nur noch verschwommen nahm ich alles wahr und wollte nichts mehr hören. Dieser Tag hatte mein Leben erneut um ein ganzes Stück verändert und es sollte noch lange kein Ende finden.
You cry too late
Now try to live without my ways
And make it on your own for one Night
So you plea and bag
You say it was a big mistake
You play a little game on yourself
I won’t take you back
Nach Stunden, so kam es mir zumindest vor, hatte Jessie endlich eingesehen, dass er mit seiner Aktion nicht weiterkam. Völlig fertig hatte er die Waffe sinken lassen und sich ergeben, dann wurde er festgenommen und ins Revier gebracht, während mir tatsächlich noch Fragen gestellt wurden, die ich jedoch nicht beantworten wollte, da ich ebenfalls mit meinen Nerven vollkommen am Ende war.
Danach erschien der Arzt in meinem Blickfeld und bat mich, mit ihm ins Krankenhaus zu fahren, da er annahm, dass Roxy nun jemanden brauchte, der ihr nahe stand und der für sie da war. Ich nickte kurz und folgte ihm. Roxy war immer noch nicht über dem Berg, aber ich war mir sicher, dass sie es schaffen würde, sie war eine Kämpferin und ich glaubte fest an sie.
Ich lief an John und Leif vorbei, wobei ich ihnen ein dankendes Lächeln zuwarf, aber reden wollte ich in dem Moment mit niemanden.
Im Krankenwagen hielt ich die ganze Zeit über Roxys Hand und streichelte mit meinem Daumen sanft ihren Handrücken. Vielleicht hörte sie mich nicht, dennoch wusste ich genau, dass sie spürte, dass ich da war und das ließ meine Hoffnung ein Stück wachsen. “Es wird alles wieder gut“, flüsterte ich und sah zu, wie sie dort friedlich lag und schlief, bis wir endlich am Krankenhaus angekommen waren.
Dort wurde sie auch noch einmal gründlich untersucht, bis sie in ein Zimmer auf der Intensivstation gebracht wurde. Normalerweise durfte man in diesem Bereich keine Besuche empfangen, aber der Arzt machte bei mir eine Ausnahme, da er sah, wie sehr sie mich nun brauchte.
So setzte ich mich also an ihr Bett und war den Tränen wieder nahe. Als ich zum Fenster hinausschaute, bemerkte ich in der Dunkelheit, wie sich die Baumkronen durch den Wind hin- und herbewegten. Es hatte begonnen zu stürmen und es wurde von Minute zu Minute heftiger. Seufzend sah ich mich im Zimmer um, die ganzen Schläuche, an die Roxy angebracht war, machten mich allmählich nervös und meine Hände fingen an zu schwitzen. Ich hatte Krankenhäuser schon immer gehasst, vor allem, da ich diese in letzter Zeit ziemlich oft von innen gesehen hatte.
//Flashback//
Es war wieder einmal einer dieser stressigen Tage, an denen wir das Video zu unserem neuen Song “In the Club“ drehten. Langsam hatte ich wirklich genug und mir ging dieser ganze Job in gut deutsch gesagt bereits am Arsch vorbei, mir wurde das einfach alles zu viel und anscheinend hatten es auch meine Bandkollegen bemerkt, zumindest Chris.
“Lick my ass!“, hörte ich Izzy schreien. Wahrscheinlich passte ihm wieder einmal etwas nicht, was kein Wunder war, denn er zog immer seine eigenen Dinge durch, was ich schon immer an ihm bewundert hatte, da er sich von nichts und niemanden etwas sagen ließ.
Generell waren heute irgendwie alle ziemlich angepisst von dem Tag, was ich mir eigentlich nicht erklären konnte, da es doch so gut wie immer so bei uns ablief, wenn es zumindest nach dem Terminkalender ging.
Gestern hatten wir noch toll Party gemacht und heute hatten wir dadurch den Salat davon. Nun ja und ich hatte noch mehr davon, denn ich hatte einen gewaltigen Kater davongetragen und mich bereits dreimal übergeben, als ich nicht mehr konnte. Ich sah zu Jay, bis mir plötzlich schwarz vor Augen wurde und ich nichts mehr mitbekam, dann wachte ich im Krankenhaus auf...
//Flashback End//
Das war nur eines der Fälle, in denen ich dort gelandet war. Im Sommer vor knapp zwei Jahren hatte ich mir meinen Arm gebrochen, was ebenfalls nicht sonderlich schön war, aber ich hatte so einiges bereits durchgestanden, also konnte mich so schnell nichts mehr erschüttern, dachte ich zumindest bislang, aber wie schon erwähnt sollte alles noch schlimmer kommen.
Ich saß immer noch auf dem harten Stuhl und mein Hintern war bereits wund, so kam es mir vor, doch ich dachte nicht daran aufzustehen, aber leider musste ich dies tun, da ich doch dringend auf die Toilette musste, also tat ich dies auch.
Roxys Hand war kalt geworden und sie lag da wie leblos, aber die Maschinen ließen einen normalen Ton von sich, was mich um einiges beruhigte und ich daher auch für einige Minuten das Zimmer verließ.
Als ich meine Blase entleert hatte und mir noch einen warmen Kaffee geholt hatte, um mich die Nacht über wach zu halten, machte ich mich auf den Weg zurück in ihr Zimmer, wobei ich mir wünschte, das Zimmer nie verlassen zu haben, denn als ich die Tür öffnete und hineinblickte, standen bereits viele Ärzte um ihr Bett herum, doch da ich sie nicht sehen konnte, hatte ich gedacht, ich hätte mich im Zimmer geirrt, aber dem war nicht so. Ich riss meine Augen weit auf und hätte beinah den heißen Kaffee auf meinen weißen Sneakers verschüttet.
Der Oberarzt hatte mich bemerkt und zog mich nach draußen in den Flur, dabei sah er betrübt aus und ich befürchtete schon das Schlimmste. “Es ist zu spät!“, meinte er nur, als dann zwei Schwestern das Bett von Roxy nach draußen schoben. Ich schüttelte nur den Kopf und konnte nicht glauben, dass das wirklich gerade passiert war. Sie war nicht tot. Sie konnte mich nicht verlassen! Das durfte sie nicht machen!
Feel the pain when I’m gone!
Don’t even doubt it
Now hear me again
There’s no way around it
I’m never gonna stay
Now’s your time to pay
You make me walk away