Let me know, tell me if you wanna go
Baby we can take it slow
Show me that you wanna come with me tonight
Zwei Tage waren bereits vergangen, die ich eingesperrt hinter Metallstäben verbringen durfte. Ich lag auf meinem viel zu harten Bett, hatte die Arme hinter meinem Kopf verschränkt und starrte die Decke an, diese könnte man auch mal wieder streichen, dachte ich. Vielleicht konnte ich das ja übernehmen, schließlich hatte ich hier nichts weiter zu tun. Immer noch war ich stinkwütend auf Naomi. Was bildete die sich eigentlich ein mir so eine Tat zu unterstellen? Was hatte sie für einen Grund? Ich konnte es immer noch nicht ganz fassen und wollte sie zu Rede stellen, sobald das alles hier aufgeklärt war, was wohl noch ziemlich lange dauern würde, dachte ich zumindest, denn bereits seit dem ersten Besuch der Jungs hatte ich weiterhin nichts von ihnen gehört. Vielleicht machten sie auch gerade irgendwo Party, hatten mich bereits völlig vergessen oder waren einfach froh, dass ich sie nicht länger nerven konnte. Bei diesen Gedanken schossen Tränen in meine Augenwinkel, wollte sie jedoch nicht ins Freie lassen, was mir allerdings nicht gelingen wollte, denn schon lief eine Träne meine Wange hinab, bis zum Spitz des Kinns. Ich drehte mich mit dem Blick zu Wand und weinte in das Kissen. Diesmal blieb ich nicht so stark. Ich ließ alles raus, meinen ganzen Frust, mein ganzes Leid. Es lag nicht nur an der Tat von Naomi, nein, es steckte viel mehr dahinter.
//Flashback//
Es klopfte an die Badezimmertür. “Richie, jetzt beeil dich doch mal!“; schrie Izzy von draußen, doch ich hörte gar nicht erst hin, stattdessen drehte ich das Radio auf voll Lautstärke und versuchte weiterhin meine nassen Haare durchzukämmen, dabei sang ich lauthals mit. “I was sick and tired of everything, When I called you last night from Glasgow, All I do is eat and sleep and sing, Wishing every show was the last show, So imagine I was glad to hear you’re coming, Suddenly I feel all right, And it’s gonna be so different, When I’m on the stage tonight...” Schon seit längerem ging es mir nicht so gut, doch mit aller Kraft versuchte ich diese Gefühle zu unterdrücken, was mir anscheinend gut gelang, denn keiner der Jungs war auf mich zugekommen und hatte mich gefragt was los war. Jeden Abend lag ich lange Zeit einfach weinend im Bett und dachte über mein Leben nach. Ich wusste: Es war Gottes Wille, dass das hier mit mir passierte. Die letzten Zeitungsberichte und Gerüchte hatten einen tiefen Schnitt in meiner Seele hinterlassen und mein Herz brannte von Trauer, doch wer würde mir glauben? Wohl niemand! Ich war nicht schwul, wollte ich schreien und ja, ich hatte eine Affäre mit Marta, dem Nacktmodel. War das denn so schlimm? Jeder hatte Fehler und keiner war perfekt, genau wie ich, doch wenn man in einer Boyband war, verlangte man immer das perfekte Auftreten, aber so war ich eben nicht. Das war nicht ich vor der Kamera, doch dieses Gesicht hatte sich bereits auf mein Privatleben abgefärbt.
“Wir spielen die neuesten Sommerhits des Jahres 2007, nur exklusiv bei 103.4 Radio Energy“, ertönte die Stimme des Radiosprechers aus den Boxen, doch ich bekam kaum noch etwas davon mit, da ich mit meinen Gedanken, wie in letzter Zeit oft, woanders war. Ich war weder schwul noch litt ich unter dem Borderline-Syndrom, das war mir klar, doch der Presse anscheinend nicht. Ich wusste, dass es nichts bringen würde ihnen die Wahrheit zu sagen und alles zu bestreiten, denn sie schrieben sowieso nur das, was ihnen am meisten Geld in die Kassen brachte.
Manchmal überlegte ich wirklich ernsthaft, ob diese Band der richtige Weg für mich war und ob ich nicht einfach alles hinschmeißen sollte. Nicht einmal meine vier Bandkollegen Chris, Izzy, Mikel und Jay interessierten sich sonderlich für mich geschweige denn für meine Probleme. Meine anderen Freunde aus Chicago hatten mir schon vor längerer Zeit den Rücken gekehrt und waren eifersüchtig auf meinen Erfolg. Hätte ich damals schon gewusst, dass es einmal so weit kommen würde, hätte ich diesen Pfad mit Sicherheit nicht eingeschlagen, doch es war nun zu spät und ich bereute es.
Ich schaute zum offenen Fenster. Die Sonne strahlte am Himmel und keine Wolke war zu sehen. Ein wirklich schöner Tag, um draußen mit dem Hund spazieren zu gehen oder sich einfach nur in das weiche grüne Gras zu legen und sich die Sonne auf den Bauch scheinen zu lassen.
Nichts von beiden konnte ich. Schon seit Monaten hatte ich kaum Freizeit und einige ruhige Minuten, die ich nur mir widmen durfte. Ich war ständig unterwegs in einem viel zu engen Van mit fünf weiteren Personen.
Mein Spiegelbild schaute mich an und es kam mir so vor, als würde dieses mich teuflisch angrinsen. “Du hast es selber so gewollt!“, sagte es. “Es ist deine eigene Schuld, du Narr!“ Heftig schüttelte ich den Kopf. Da bildest du dir nur etwas ein, redete ich leise, schob den Ärmel meines Pullovers nach oben und betrachtete meine Kratzer. Ja, gestern Abend hatte ich mich geritzt und warum? Weil ich einfach nicht mehr weiter wusste und auch mit niemanden über meine Probleme reden konnte. Niemand war da für mich und auch niemand verstand mich.
“Richie, verdammt, mach endlich auf!“, ertönte erneut Izzys Stimme, die allmählich immer genervter und wütender wurde. Ich stieß einen Seufzer aus, packte noch schnell die Sachen zusammen und schloss die Tür auf, dann ging ich an ihm vorbei, ohne ein Wort zu verlieren, und tapste geradewegs in mein Zimmer, wobei ich unbeabsichtigt die Tür lauter zuknallte als ich es eigentlich gewollt hatte.
Als ich mich auf mein Bett schmiss, wusste ich genau: Ich musste dem allem ein Ende setzen!
//Flashback End//
Immer noch lag ich auf meinem viel zu harten Bett und ließ die Vergangenheit vor meinem inneren Auge durchlaufen. Hatte ich tatsächlich all das verloren, was mir lieb und teuer war? So musste es sein, aber ich durfte jetzt nicht einfach aufgeben oder vielleicht doch? Vielleicht konnte ich nicht anders. Gott würde mich in sein Reich aufnehmen, er allein wusste, wann die Zeit für jeden einzelnen von uns gekommen war und meine Zeit war jetzt. Ich blickte mich um. Niemand da, der mich aufhalten könnte, sie alle waren draußen an der frischen Luft. Die Glasflasche von gestern, die gefüllt mit Wasser war, stand neben meinem Bett und wartete nur darauf verwendet zu werden. Zitternd nahm ich diese in die Hand und betrachtete sie mir. Ich hatte alles verloren, einfach alles! Was brachte mir mein Leben noch, wenn man nur von irgendwelchen Mädchen geliebt wurde, die nur dein gutes Aussehen und dein Geld schätzten, die dich von vorne bis hinten ausnutzten und verarschten?
Ich zerschlug die Flasche. Die scharfen Kanten ragten demonstrativ hinaus. Für einen Moment schloss ich meine Augen, Schweißperlen standen mir auf der Stirn und konnte nun wirklich nicht sagen, ob ich so ein Leben auch weiterhin führen wollte oder ob ich dieses einfach mit einem Schnitt beenden sollte.
Letztendlich entschied ich mich für die zweite Lösung. Ich legte die Spitze der Flasche an meine Pulsader, zog noch ein letztes Mal die frische Luft in meine Lungen und schnitt zu...
Girl, I never felt like this before
As soon as you walked through that door
You had going crazy for ya’
Why every time I see your face
Tell me why I feel this way
I wanna Love you all night long Girl
”Hey Richie, wach auf!” Ich vernahm eine Stimme von weit her und etwas oder jemanden, der mir gegen meine Wangen schlug. Mein Kopf tat unheimlich weh und im ersten Moment wusste ich nicht, was geschehen war. War ich tot? Nein, das schien mir nicht so. Langsam öffnete ich meine Augen und sofort strahlte mit grelles Licht entgegen und blendete mich. “Er wacht auf!“, hörte ich eine mir vertraute Stimme und erst jetzt registrierte ich, wo ich mich befand und wer bei mir war. Das Zimmer war weiß gestrichen und ich lag in einem Bett mit weißer Bettdecke bedeckt. Mein Handgelenk trug einen lästigen Verband und war obendrein auch noch mit Blut verschmiert. Meine Augenlider waren zu schwer, um sie weiterhin offen zu halten. Ich hatte viel Blut verloren, das spürte ich, doch immer noch konnte ich nicht sagen, was eigentlich passiert war, nachdem ich zugeschnitten hatte. “Richie? Hey! Hörst du mich?“ Es war Jays ruhige und sorgenvolle Stimme, die mit mir Sprache, aber mehr als ein hm brachte ich nicht über meine Lippen, ich war einfach zu schwach, wollte nur meine Ruhe haben und schlafen, weiter nichts.
“J-Jay“, krächzte ich und in meinem Hals staunte sich ein gewaltiger Kloß, der meine Lungen widerlich zerkratzte. “W-Was ist...passierte?“, war der einzige Satz, den ich herausbrachte, bevor meine Stimme erneut versagte. “Wir haben dich in deiner Blutlache in der Zelle gefunden und sofort ins Krankenhaus gebracht“, erzählte er und sah immer noch recht besorgt aus. “Wir konnten die Polizisten davon überzeugen, dass du unschuldig bist“; fügte er dann hinzu und hatte dabei sogar ein kleines Lächeln auf den Lippen. Ich konnte es einfach nicht fassen, dass die Jungs mich da tatsächlich rausgehauen hatten. Wenn ich könnte, würde ich nun vor Freude an die Decke springen, doch ich war an dieses Bett gefesselt und verfluchte mich sogar dafür, dass ich diesen Schritt überhaupt gewagt hatte. Erst jetzt bemerkte ich, dass die Jungs sich um mich sorgten und ich ihnen nicht egal war. “Mach so etwas nie wieder, Kleiner“, lächelte Izzy. Mir war klar, dass das Verhältnis zwischen ihm und mir noch eine ganze Weile brauchen würde, bis es wieder den Punkt erreicht hatte, den wir vor Naomis Auftritt hatten, aber ich versuchte so gut es ging den Vorfall zu vergessen und noch einmal neu anzufangen, denn niemand auf dieser Welt, vor allem kein Girl, würde sich je zwischen meine besten Freunde und mich drängen.
Nach einer weiteren Stunde wurden die Jungs dann vom Oberarzt nach draußen befördert, da er der Ansicht war, ich bräuchte noch Ruhe, doch ich sah das eigentlich ganz anders, aber widersetzen wollte ich mich dennoch nicht. So lag ich also da und starrte aus dem Fenster. Draußen war es bereits dunkel geworden und nur die kleine Nachttischlampe erfüllte den Raum mit ihrem fließend warmen Licht. Ich schloss meine Augen, doch öffnete sie wieder abrupt, als das Gesicht von Naomi an meinem inneren Auge vorbeilief. Mein Atem beschleunigte sich und ich konnte nicht mehr klar denken. Sie hatte mir all diese Schmerzen, die ich in dem Augenblick ertragen musste, zugefügt. Sie war diejenige, die mir alles genommen hatte, was mir lieb und teuer war. Sie hatte mein Leben zerstört!
Aber was redete ich da eigentlich? Richie, wach auf! Nicht sie hatte dein Leben zerstört, nein, du hast dir das alles selber zuzuschreiben, sei dir dem im klaren und lebe in keiner Traumwelt mehr.
“Ich werde dir dein Leben zu Hölle machen!“ “Du taugst nichts mehr!“ “Richie, du musst die Band verlassen!“ “Sehr geehrter Mister Stringini, wie bedauern Ihnen mitteilen zu müssen, dass Ihr Bruder Bobby verstorben ist!“ “Nein! Nein! Nein! Alles gelogen! Hört auf! Lasst mich in Ruhe!“
Schweißgebadet schreckte ich auf und sah mich mit angsterfülltem Blick um. Immer noch war ich in diesem ekelhaften Krankenzimmer, welches nach Erbrochenem stank. Alles nur ein Traum, was für ein Glück. Erschöpft ließ ich meinen Kopf wieder auf das Kissen sinken und starrte mit glanzlosen Augen die Decke an. Die Farbe weiß machte mich allmählich nervös. Sie war so kalt und gefühllos, wie manche Menschen, die in mein Leben getreten waren und es teils zerstört hatten. Dass jedoch ich die größte Schuld daran trug, dass es bereits soweit gekommen war, wollte ich mir nicht eingestehen.
Ich schloss meine Augen und schlief unruhig ein, doch als meine Gedanken plötzlich zu Roxy glitten, erhellte sich in mir wieder neue Hoffnung...
//Flashback//
“Richie, du musst wissen, dass ich immer an deiner Seite bleibe und dir helfen werde, wo ich auch kann. Vergiss mich nicht!“ Das hatte mir meine beste Freundin Sarady gesagt an ihrem letzten Tag in Chicago, bevor sie nach New York zog, um dort ihrem Studium nachzugehen. Seit diesem Tag hatte ich nichts mehr von ihr gehört. Sie hatte mir doch versprochen, immer für mich da zu sein und dann war sie von einer auf die andere Sekunde einfach aus meinem Leben verschwunden.
Am nächsten Morgen saß ich betrübt am Küchentisch und stocherte lustlos in meinem Rührei herum. Die Küchenuhr tickte und das Radio spielte gerade “Anywhere for you“, dieser Song passte nun gut zu mir, doch ich achtete kaum auf die Worte, die in diesem Lied erwähnt wurden. “I’d go anywhere for you, Anywhere you asked me to, I’d do anything for you, Anything you want me to, Your love as far as I can see, Is all I’m ever gonna need, There’s one thing for sure, I know it’s true, Baby I’d go anywhere for you!” Ich hatte Sarady geliebt, keine freundschaftliche Liebe. Nein! Ich liebte sie nunmal so, wie sich Jungen und Mädchen liebten. Als sie mit meinem besten Freund Leif zusammen kam, brach für mich eine Welt zusammen, ließ mir jedoch nichts anmerken, da ich genau wusste: Für Sarady war unsere Freundschaft einfach zu stark, daher würde sie mit mir auch nie eine Beziehung eingehen wollen.
Ich hatte kaum einen Bissen heruntergeschluckt, als ich den Teller auch schon wieder wegräumte und traurig in meinem Zimmer verschwand, wo ich für den Rest des Tages blieb, mich mit einem neuen Song auseinandersetzte und alles um mich herum kaum noch wahrnahm. Ich hatte Sarady von meinen Gefühlen zu ihr erzählt, seitdem war unser Verhältnis stark in eine negative Richtung abgedriftet, dennoch wollten wir versuchen uns nichts anmerken zu lassen und alles noch einmal von vorne, diesmal langsamer, angehen zu lassen. Ich konnte nicht sagen, ob dem so war, aber ich hatte das Gefühl, als würde auch bei ihr mehr als nur Freundschaft im Spiel sein. Das erfuhr ich jedoch nicht und vielleicht war dies auch besser so!
//Flashback End//
Ich war überglücklich, als ich am nächsten Morgen das Krankenhaus endlich wieder verlassen konnte, noch länger und ich wäre von dort abgehauen, denn ich hasste nichts mehr als Krankenhäuser und die ewige Langeweile, die darin herrschte. Den Verband musste ich leider auch weiterhin um mein Handgelenk tragen, doch das störte mich nicht im geringsten, da ich einfach froh war noch am Leben zu sein. Ich hätte mit dem Gedanken Selbstmord zu begehen gar nicht erst spielen sollen, denn mir war klar geworden, dass ich wirklich am Leben hing und so wie es aussah hatte Gott noch eine Aufgabe für mich, bevor ich tatsächlich meine Familie und Freunde verlassen würde.
“Richie, wieso hast du das eigentlich gemacht?“, wurde ich von Chris gefragt, als wir alle zusammen im schwarzen Van saßen und auf dem Weg in unsere WG waren. Er sah mich besorgt und mit einem Mach-Das-Bloß-Nicht-Noch-Einmal-Blick an. Wie gebannt starrte ich aus dem Fenster und ließ die bunten Lichter der Stadt an mir vorüberziehen. Ich zuckte meine Schultern. Ja, warum hatte ich das denn überhaupt getan? Darauf wusste ich selber keine vernünftige Antwort. Ich hatte einfach nicht nachgedacht und genau das sagte ich ihm auch. Jay, der am Steuer saß, bremste scharf, was mich und auch die anderen Jungs aufschrecken ließ, dann drehte er sich zu mir nach hinten und seine Augen sahen mich über seine großen Sonnenbrillengläser an. “Junge, dann denk das nächste Mal eben vorher nach, bevor du eine Tat begehst, die du im Endeffekt dann bereust“, ermahnte er mich und ich wusste ja auch, dass er Recht hatte, wollte es dennoch nicht zugeben. Ich seufzte und spürte, wie sich ein Stechen in meiner Brust breit machte. “Leute, also...“ Ich hielt inne. Sollte ich es ihnen wirklich sagen? Ja! Ich kam zu dem Entschluss, dass alles leugnen nichts helfen würde, also atmete ich noch ein letztes Mal tief durch und fing an zu sprechen.
Alle Blicke waren gespannt auf mich gerichtet. Jay war inzwischen rechts herangefahren und sah mich genauso an, wobei ich merkte wie seine Ohren gespitzt meinen Worten lauschten. “Ich...also...“ Ich brachte einfach keinen vernünftigen Satz zustande und wenn ich dies versuchte, kam bei mir nur Gestotter heraus, doch ich wusste, ich musste da durch und je früher ich es hinter mich brachte desto besser, also erzählte ich ihnen von meinem Kummer und Gedanken, die ich monatelang mit mir herumgetragen und bislang nur meinem Tagebuch anvertraut hatte.
Entgeistert starrten mich alle an, als ich meine Geschichte beendet hatte. Ich verstand nicht ganz, warum sie so verwirrt darüber waren, aber es müsste wohl oder übel einen Grund dafür geben. Chris hatte auf seiner rechten Seite inzwischen die Wagentür geöffnet und ließ die kühle Frühlingsluft in den Van dringen. “Wir reden in der WG weiter darüber“, entschied Jay und klang ziemlich ernst dabei. Ich konnte nicht sagen, was plötzlich mit ihnen los war, aber offenbar hatten sie gute Gründe für ihre jetzige Laune.
Jay schmiss also wieder den Motor an und fuhr uns nach Hause.
Baby do you wanna be with me
Better tell me what it’s gonna be
I wanna know if you feeling me
Baby Girl let’s go
An der WG angekommen erwartete uns schon die nächste Überraschung. Als wir alle ausgestiegen waren und den Van abgeschlossen hatten, war Jay hektisch auf der Suche nach dem Wohnungsschlüssel, doch den brauchte er gar nicht mehr, da die Tür auf mysteriöse Weise geöffnet war. Verwirrt sahen wir uns gegenseitig an und Mikel war derjenige, der voranging. “Hallo?“, rief er durch den Flur und stieg dabei über einige Klamotten, die dort verstreut lagen. Keine Antwort! “Hallo?“, hörte ich seine Stimme erneut rufen, diesmal lauter, doch auch jetzt bekamen wir nicht die geringste Antwort. Wir blieben alle dicht hinter Mikel und sahen uns weiter um.
Ich blickte zur Wohnzimmertür, während ich aus meinen Augenwinkeln bemerkte, dass die anderen Richtung Badezimmer gingen, doch irgendetwas sagte mir, dass die eingedrungene Person darin war, also tapste ich langsam zum Zimmer und öffnete die Tür einen Spaltbreit.
Ich fiel beinahe aus allen Wolken, als ich sah, wer dort ausgebreitet auf dem Sofa mit einer Chipstüte saß und genüßlich an diesen knabberte. Ich traute meinen Augen einfach nicht und sah sie nur entgeistert mit offenem Mund an, dabei ging die Tür unbeabsichtigt ein Stück weiter auf, sie schreckte auf und unsere Blicke trafen sich.
“Naomi?! Verdammt, was machst du hier?“ Ich versuchte mit aller Kraft ruhig zu bleiben, was mir jedoch nicht sonderlich gut gelingen wollte, da sich in all den letzten Tagen so viel Wut und Hass in mir gestaut hatte, die irgendwann einmal hinausströmen wollten. Sie lächelte mich nur mit ihrem fiesen Lächeln an und säuselte etwas von: “Ich wollte dir nur einen kleinen Besuch abstatten, als ich gehört habe, dass du im Krankenhaus warst.“ Es ekelte mich einfach an. Sie saß da, hatte die Beine verführerisch übereinandergeschlagen und sah mich mit einem Wimpernaufschlag an.
Ich schaute über meine Schulter und bemerkte, dass die Jungs anscheinend immer noch in den anderen Zimmer beschäftigt waren und nicht mitbekamen, dass ich längst entdeckt hatte, was hier eigentlich los war. Nun ja, schien auch zu meinen Gunsten zu sein, also schloss ich leise hinter mir die Tür, vorsichtshalber schloss ich ab und sah sie an. Es dämmerte draußen bereits und im Zimmer war kein Licht angeschaltet, der Fernseher war inzwischen auch schon außer Betrieb und es herrschte eine Stille zwischen uns, die unerträglich war, doch wie sollte ich diese nur unterbrechen? “Was hast du?“, fragte sie, stand auf und trat langsam auf mich zu. Eigentlich wäre ich in solchen Momenten ausgewichen, doch irgendetwas hielt mich davon ab, ich stand einfach nur wie angewurzelt da und sah sie an.
Ich hatte schon lange genug von Naomi, doch sie hatte einfach etwas Anziehendes an sich, wobei ein Mann einfach nicht widerstehen konnte. Naomi wusste ganz genau, dass sie unbeschreiblich aussah und das nutzte sie auch bei jeder Gelegenheit schamlos aus.
Der Himmel verdunkelte sich weiter und einige schwarze Gewitterwolken zogen auf, die einen heftigen Sturm ankündigten. Der Wind hatte zugenommen und fegte mit einem irren Tempo über die Stadt. Nun trat ich doch einige Schritte zurück, als ich feststellte, dass sie mir näher und näher kam, doch kaum hatte ich mit meinem Rücken die Wand gespürt, war mir klar, dass ich keine Möglichkeit sah auszuweichen und ihr Blick verriet alles: Du gehörst mir, Baby!
Es kam mir so vor, als hätte sie diesen Satz soeben in mein Ohr gehaucht, doch dem war nicht so. Es waren nur meine Gedanken, die mir wieder einmal einen Streich spielen wollten. Ich spürte bereits ihren Atem, der warm und sanft meine Wange streichelte. Unsere Lippen berührten sich leicht und ich wusste schon jetzt, dass ich nicht die geringste Chance hatte ihr zu widerstehen. Sie hatte einfach eine Art, die mir sagte, dass sie jeden haben konnte und sogar mich damit in ihren Bann zog. Ich wollte mich wehren, doch ich konnte nicht. Alles in mir verkrampfte sich und war abgestellt. Von klarem Denken konnte keine Rede mehr sein. “Du wirkst so nervös“, flüsterte sie und strich mit ihren Fingerspitzen über meinen Oberkörper.
Ich konnte schwören, hätte Jay in dem Moment nicht wie wild an die Tür gehämmert, wäre mehr zwischen uns gelaufen, doch ich war einfach froh, dass er genau in diesem Moment auftauchte, also fing ich mich wieder und löste mich von ihr, sodass ich ihm öffnen konnte. “Richie, was...“, begann er, hielt jedoch abrupt inne, als er Naomi neben mir stehen sah. Sein Unterkiefer klappte nach unten und seine Augen weiteten sich, es sah so aus, als würden seine Augäpfel jeden Moment herausfallen, was mir auch etwas angst machte, denn so hatte ich ihn in den letzten zwei Jahren tatsächlich noch nicht erlebt. “Hey“, hörte ich die Begrüßung von Naomi, doch sie bekam keine zurück, auch nicht, als die anderen Jungs hinter Jay auftauchten und genauso erstarrt waren wie er, stattdessen fing Izzy an zu schreien. “Verdammt, was willst du hier?“, fragte auch er, wie kurz zuvor ich, doch seine Lautstärke war mindestens doppelt so laut, dass ich mich fragen musste, ob die Nachbarn dies auch mitbekommen konnten, denn besonders dick waren unsere Wände nun auch nicht. “Beruhig dich mal, Kleiner! Ich wollte nur sehen, wie es eurem Küken geht...“, grinste sie breit und strich ihm über die Wange, doch abrupt schlug er ihre Hand weg und sah sie hasserfüllt an. So hatte ich Izzy noch nie erlebt, denn für gewöhnlich war er wirklich nicht der Typ, der Frauen schlug, aber anscheinend war Naomi da eine Ausnahme, was ich ihm eigentlich auch nicht verübeln konnte, denn sie war diejenige, die mit unseren Gefühlen ihre üblen kleinen Spielchen trieb und die mich hinter Gittern gebracht hatte. Jedoch wusste ich, dass es wohl so schnell kein Ende finden würde, denn sie würde nicht aufgeben, bis sie uns fünf tatsächlich noch auseinandergebracht hatte, was sie damit allerdings bezweckte würde ich wohl nie herausbekommen, doch das brauchte ich auch gar nicht, denn mir war einfach klar, dass sie eine falsche Schlange war.
Sie hauchte ihm einen kurzen Kuss auf seine Lippen und lächelte verführerisch. “Nicht aufregen, Süßer! Ich bin ja schon weg.“ Und mit diesem Satz verschwand sie, ließ uns dabei verwirrt zurück.
“So eine Scheiße!“, regte sich Izzy auf, als die Haustür ins Schloss gefallen war. Draußen hatte der Sturm bereits zugenommen und der Regen prasselte an die Fensterscheibe, dabei erstrahlte das Zimmer hin und wieder durch die Blitze, die am Himmel zuckten.
Ich schlug vor, dass es besser war erst einmal schlafen zu gehen und morgen in aller Ruhe über alles zu sprechen, endlich hörte man auf das, was ich sagte, denn tatsächlich suchten wir alle unsere Zimmer auf, machten uns Bettfertig und schlüpften unter die Decken, doch ich blieb die ganze Nacht wach und lauschte dem Heulen des Windes, der in den Bäumen raschelte.
Girl, I never seen an Angel smile
Until you walked into my life
I wanna Love you all night long Girl
Why everytime I hear your voice
It makes me wanna Love you more
I wanna hold you all night long Girl
Das Zimmer war dunkel und man konnte kaum die Hand vor den Augen erkennen. Es war alles still, ich vernahm nur den Wind und nun ja, Jays Schnarchen. Doch was war das? Leicht stützte ich mich auf meinen Ellbogen und sah zur Tür. Ich hörte Schritte im Flur und fragte mich, wer wohl um diese Zeit hier herumgeisterte. Da ich auch noch so neugierig war, stand ich also auf und tapste zur Tür, die ich jedoch nur einen Spaltbreit öffnete, ich lugte mit einem Auge hinaus. Ein Schatten formte sich an der Wand und langsam wurde mir mulmig zumute. Ein Einbrecher, schoss es mir urplötzlich durch den Kopf.
Mit schnellen Blicken huschte ich durch mein Zimmer und erblickte ein dickes, schweres Buch. Perfekt, dachte ich mir, nahm dieses zu Hand und tapste auf leisen Sohlen nach draußen in den abgedunkelten Flur. Ich sah, wie der Typ, nennen wir ihn mal so, die Türklinke umklammerte und gerade die Wohnung wieder verlassen wollte, doch da hatte er die Rechnung ohne mich gemacht. Ich schlich mich leise an und schon im nächsten Moment hatte er das Buch auf den Kopf bekommen, ein kurzer Aufschrei seiner Seite machte mir verständlich, dass ich voll ins Schwarze getroffen hatte. Immer noch war es zu dunkel, um die Gestalt zu erkennen und meine Augen gewöhnten sich nur sehr schwer an die Dunkelheit.
Anscheinend wusste die Person langsam wieder, was los war, denn sie drehte ihr Gesicht zu mir und seine Augen blitzten zornfunkelnd zu mir hinüber. “Sag mal, spinnst du jetzt völlig? Was soll der Scheiß?“, schrie sie und ab da war mir bewusst mit wem ich es eigentlich zu tun hatte. Ein Glück war es dunkel, denn so konnte er nicht sehen, wie ich rot anlief und mir mit einem Schwung heiß wurde. “Chris?“, flüsterte ich in die Dunkelheit. “Wie du unschwer erkennen kannst bin ich es und ich wüsste nur allzu gern, ob du mich demnächst im Krankenhaus besuchen kommen willst“, meinte er und rieb sich seinen Hinterkopf, wobei ich nur meinen schütteln konnte. “Das...würde ich eigentlich eher weniger gerne.“ Ich zwang mich zu einem Lächeln, doch von Chris kam keines zurück. Ich war sauer und das war sogar noch untertrieben. Es kam nicht so häufig vor, dass er einmal sauer wurde, doch wenn es der Fall war, dann sollte man sich besser nicht mit ihm anlegen. “Sorry“, flüsterte ich und senkte meine Stimme sehr stark, das es mir wirklich unheimlich leid tat, doch was konnte ich denn bitte dafür? Schließlich musste er ja auch nicht mitten in der Nacht durch die Wohnung herumgeistern.
Von ihm war ein Seufzen zu hören. “Schon okay“, erwiderte er dann und auf seinen Lippen formte sich wahrhaftig ein Lächeln, zwar kein breites, aber immerhin hatte er meine Entschuldigung angenommen. “Was machst du hier in der Nacht?“, wollte ich wissen, da ich wirklich...nun ja...ziemlich neugierig war, aber das waren die anderen Jungs von mir schon gewöhnt, deshalb verheimlichten sie mir eigentlich nie etwas, wenn ich sie erwischt hatte, doch heute sollte es eine Ausnahme sein, denn Chris hatte mit Sicherheit nicht vor mir zu sagen, was er vor hatte, das konnte ich genau an seinem Gesichtsausdruck erkennen, auch wenn es noch dunkel in dem Raum war, meine Augen hatten sich bereits so gewöhnt, dass ich seine Umrisse und Gesichtszüge gut sehen konnte.
Er schüttelte den Kopf. “Heute nicht, Kleiner! Sorry! Und sag den anderen bitte nicht, dass ich weg war.“ Er zwinkerte mir zu und war im nächsten Moment auch schon aus der Wohnung verschwunden. Sollte ich ihm vielleicht folgen? Er hatte doch etwas vor, das war mir klar und ich wollte auch unbedingt herausfinden, was es war, also stand mein Entschluss schon fest: Ich würde Chris verfolgen, egal wohin er gehen würde.
Ein Blick auf meine Armbanduhr, die ich zum Geburtstag von meiner Mom bekommen hatte, verriet mir, dass es bereits drei Uhr morgens war und jeder vernünftige Mensch um diese Zeit eigentlich schon längst sein Bett aufgesucht und sich in seine Decke hätte, doch ich nicht! Ich gehörte nicht zu denen, die in der Nacht schliefen. Bei dem Gedanken verdrehte ich meine Augen. Ich war wahnsinnig geworden! Natürlich fehlte mir der Schlaf, vor allem jetzt, wo ich in dieser Band war, aber nein, man gönnte mir noch nicht einmal diese kurze Zeit der Privatsphäre.
Chris lief und lief und lief, immer dicht gefolgt von mir, aber auch nicht so dicht, dass er mich auf einen Schlag hätte bemerken können, ich stellte es einfach geschickt an. Dicht folgen und doch unsichtbar bleiben, war das Motto meiner nächtlichen Tat und dies schien mir auch ziemlich gut zu gelingen. Wohin ging Chris denn nur?
Irgendwann, ich hatte schon völlig vergessen, weshalb ich ihm überhaupt folgte, hielt er an einem Club an. Ich versteckte mich hinter einem Busch, musste mich dabei jedoch etwas strecken, da ich leider feststellte, dass ich viel zu klein war. Nun ja, einhundertfünfundsiebzig Zentimeter waren für einen Jungen tatsächlich nicht sonderlich groß, aber so lange es niemand anderen störte war auch ich damit recht zufrieden, schließlich war es allemal besser als fünfzehn Zentimeter kleiner zu sein oder so.
Die Müdigkeit kam über mich und meine Lider fühlten sich immer schwerer an, es tat sich einfach nichts. Chris stand nur da, schaute öfter auf die Kirchenuhr der Gedächtniskirche, die sich am Ku’damm befand, starrte dann wieder durch die Gegend. Wäre mir im letzten Augenblick nicht eingefallen, dass ich mich ja vor ihm versteckte, wäre ich mir nichts dir nichts zu ihm gegangen und hätte ihn zu Rede gestellt, denn wir waren tatsächlich bereits zwei volle Stunden unterwegs, ohne jeglichen Grund...bis jetzt! Mein Gedächtnis schaltete sich immer mehr aus, doch ich war noch in der Lage eins und eins zusammen zu zählen. Er stand am Ku’damm, bei einem schrecklichen Sturm, vor einem Club! Dahinter konnte doch nur ein Mädchen stecken! Aber wer würde sich denn schon freiwillig um drei oder vier Uhr treffen? Nur zwei verrückte Verliebte!
Mit meiner Vermutung hatte ich ebenfalls ins Schwarze getroffen, wie vorhin Chris’ Kopf, was mich nun doch etwas zum grinsen bringen musste, denn ich fand es irgendwie belustigend, wie Chris dort total verwirrt stand und sich im ersten Moment nicht erklären konnte, was geschehen war, aber urplötzlich wurde ich ernst, als ich sah, mit wem unser Chrissyboy verabredet war. Mein Unterkiefer fiel nach unten und innerlich verkrampfte ich. Das Licht des Clubs und die Aufschrift “Ku’dorf“ blinkten und brachten mich kurz zum Blinzeln, dennoch haftete mein Blick weiterhin bei den beiden. “Naomi!“, war das einzige, was ich rausbrachte, bevor ich einfach umdrehte und nach Hause rannte.
Do you need me Baby?
I know you want me Baby
U gotta taste it Baby-
Girl let’s take it slow
Baby Girl you gotta let me know
I could never ever let you go
Call me Girl if you wanna go
Let me know,
Girl don’t go